Vor kurzem fand das vierte Plenum des Zentralkomitees der MLPD statt. Die Rote Fahne dokumentierte bereits Auszüge aus der dort verabschiedeten Resolution „Den Kampf gegen die Rechtsentwicklung der Regierung verstärken, die strategische Bedeutung der Situation tiefgehend begreifen und die sich eröffnenden Chancen entschlossen nutzen“.
Ergebnisse der Beratungen flossen auch in mehrere Flugblätter, kurze Erklärungen und andere Veröffentlichungen ein. Die Rote Fahne Redaktion hatte jetzt Gelegenheit, mit der Parteivorsitzenden der MLPD, Gabi Fechtner, über Diskussionen und Beschlüsse der Tagung zu sprechen. Dabei antwortet Gabi Fechtner auch auf Fragen, die in den Diskussionen darüber und dem Kampf um ihre praktische Umsetzung in der ereignisreichen Zeit aufgekommen sind.
Rote Fahne: Zieht nun – nach der tiefsten offenen politischen Krise der BRD – wieder Stabilität ein ins politische Geschehen?
Gabi Fechtner: Sicherlich ist die Regierung gegenwärtig wieder handlungsfähig, womit die offene politische Krise erst einmal überwunden ist. Wenn Angela Merkel aber sagt, dass sie jetzt „ganz fest“ davon ausgehe, dass die Zusammenarbeit der großen Koalition durch die ganze Legislaturperiode trägt1, hört sich das doch eher an wie das Pfeifen im Walde. Die Widersprüche, die zum offenen Ausbruch der politischen Krise geführt haben, haben sich eher noch vertieft. Der Streit zwischen Merkel und Horst Seehofer bestand ja nicht darin, ob man eine reaktionäre Flüchtlingspolitik macht.
Seehofer hatte nationale Alleingänge gefordert, mit Grenzschließungen. Das Motto „Deutschland zuerst“ begründete der CSU-Generalsekretär Markus Blume grundsätzlich: „Wir müssen den Eindruck vermeiden, dass deutsche Interessen hinter den Interessen anderer Mitgliedstaaten zurückstehen müssten.“2 Unterstützung erhielt er unter anderem von größeren Teilen der sogenannten Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Am 29. Juni intervenierten dann aber die vier deutschen Monopolverbände (BDI, BDA, DIHK und ZDH) in einer ungewöhnlichen gemeinsamen Erklärung und entschieden den Zwist zugunsten der Kanzlerin.
Sie mahnten vor allem den „Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit im globalen Maßstab“ an und forderten dafür eine „stabile und entschlossene Regierung“. Sie wiesen darauf hin, dass „die wirtschaftliche Bedeutung Europas gerade für Deutschland enorm“ sei. Deshalb seien sie „überzeugt, dass nationale Alleingänge mehr Schaden als Nutzen anrichten“. Die Mehrheit des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals in Deutschland bestand darauf, die Axt nicht an die Grundlagen der internationalisierten kapitalistischen Produktion zu legen. Gerade die internationalisierten Monopole in Deutschland befürchten durch die Grenzkontrollen einen Logistikschaden von 1,5 Milliarden Euro Profitverlust pro Jahr.3 Zynisch wie sie sind, ist es ihnen deshalb lieber, wenn die Flüchtlinge nicht an den bayerischen, sondern schon an afrikanischen und außereuropäischen Grenzen brutal aufgehalten werden.
Das Eingreifen der Unternehmerverbände wendet sich nicht gegen die Rechtsentwicklung der Regierung. Die soll vielmehr im Rahmen des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise als hauptsächlicher Regierungsmethode stattfinden. Je mehr sich die weltweiten Widersprüche verschärfen, desto mehr wird der Druck innerhalb der herrschenden Klasse zunehmen, diese zu ersetzen durch einen offen reaktionären Kurs nach innen und außen. Im internationalen Maßstab erleben wir diese vorherrschende Regierungsmethode bereits lebhaft durch die Trump’sche Politik. Bei uns ziehen schon jetzt – im Sinne der Rechtsentwicklung – fast alle Monopole die Ausbeutungsschraube gegen die Arbeiter an, bestehen mehrheitlich auf „robuste Maßnahmen“ im internationalen Konkurrenzkampf. Dieser Streit um die hauptsächliche Regierungsmethode schwelt also weiterhin – als Brandsatz in der Merkel/Seehofer/Scholz-Regierung.
Dennoch, die Ende Juni ausgebrochene offene politische Krise wurde relativ schnell wieder beendet. War sie wirklich so tief, wie von der MLPD behauptet?
Allerdings! Früher traten offene politische Krisen viel seltener auf. Es ist bemerkenswert, dass wir seit den Bundestagswahlen 2017 bereits zum zweiten Mal eine offene politische Krise in Deutschland hatten. Vor allem aber war bei früheren offenen politischen Krisen, auch wenn sie manchmal sogar zu Kanzlerwechseln führten, das weltpolitische Umfeld erheblich stabiler. Inzwischen hat sich die Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems enorm ausgebreitet und vertieft. Sie entfaltet sich an der ganzen Bandbreite der Fragen: Wie dem fortschreitenden Übergang in die globale Umweltkatastrophe, der Verschärfung der sozialen Zerwürfnisse, den politischen und Vertrauenskrisen – und insbesondere der allgemeinen Tendenz der imperialistischen Kriegsvorbereitung.
Gerade die Vertrauenskrise gegenüber den bürgerlichen Parteien, dem bürgerlichen Parlamentarismus und seinen Institutionen hat einen neuen Höhepunkt erreicht. 78 Prozent erklärten im Juli 2018, dass sie „unzufrieden“ seien mit der Regierung, ein sprunghaftes Anwachsen um 15 Prozentpunkte in nur einem Monat.4 Das zeigte sich gerade bei den Landrats- und Bürgermeisterwahlen in Thüringen. Nur noch 47,2 Prozent der Wahlberechtigten nahmen an den Wahlen teil, und davon wiederum wählte fast die Hälfte (45,7 Prozent) Wählerbündnisse abseits der bürgerlichen Parteien. Und die konnten zum Teil nicht mal mehr Kandidaten stellen.
Auf der Weltbühne sieht es nicht stabiler aus. Das Gipfeltreffen der größten westlichen imperialistischen Mächte, die G7, brachte vor Kurzem nicht einmal mehr eine gemeinsame Abschlusserklärung zustande. Die größte „Erfolgsmeldung“ beim letzten NATO-Treffen war, dass die USA nicht aus der NATO austreten. Diese Zusammenschlüsse waren früher Stabilitätsanker des Weltimperialismus! Die Regierung ist also sehr labil. Und man kann darauf wetten, dass die nächsten Zerwürfnisse und offenen politischen Krisen nicht in weiter Ferne liegen.
Es bahnen sich international gesellschaftliche Erschütterungen an, wie wir sie seit dem II. Weltkrieg nicht mehr erlebt haben. Vor Kurzem tagte das 4. Plenum des Zentralkomitees. Es hat herausgearbeitet, dass diese Entwicklungen das Potenzial haben, dass sich daraus eine revolutionäre Gärung entwickeln könnte. Ins Zentrum seiner Diskussionen stellte das Plenum die Frage, wie sich die Selbstveränderung der MLPD und ihres Zentralkomitees an der strategischen Dimension dieser Entwicklung ausrichten muss.
Die MLPD hat die Losung ausgegeben: Rücktritt der Regierung und Neuwahlen! Schürt das nicht die Illusion, die Rechtsentwicklung sei so zu stoppen?
Zunächst mal ist wichtig, den Rücktritt der ganzen Merkel/Seehofer/Scholz-Regierung zu fordern. Vielfach wird Seehofers Rücktritt gefordert, was als Erstes die MLPD verlangte, und was natürlich überfällig ist. Merkel gibt sich zwar gemäßigter in Stil und Sprache – in den Grundlinien der Rechtsentwicklung ist sich die Regierung aber einig. Der 2015 von der damaligen großen Koalition begonnene Rechtsruck hat sich mittlerweile ausgeweitet zu einer tiefgreifenden und immer allseitigeren Rechtsentwicklung der Regierung und der bürgerlichen Parteien.
Noch gibt es kleinere Zugeständnisse in der Familienpolitik oder im Arbeitsrecht. Ein krampfhafter Versuch, die Erosion der arg geschwundenen Massenbasis aufzuhalten. Spätestens aber, wenn der Überschuss im Bundeshaushalt bei einem neuen Kriseneinbruch wegschmilzt oder die riesige Staatsverschuldung durch eine Zinserhöhung durchschlägt, werden die Angriffe auf die sozialen Interessen der Massen zunehmen. Schon jetzt spürt man ein Rollback im Umweltschutz, eine verstärkte Ausbeutung in den Betrieben und Vernichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen.
Wir sagen ganz klar: Diese Rechtsentwicklung kann und muss gestoppt werden. Natürlich ist die Tendenz zur offenen Reaktion im Imperialismus gesetzmäßig. Sie tritt mit zunehmender Konkurrenz, imperialistischen Kriegen usw. immer stärker zutage. Man kann aber diese grundsätzliche Entwicklung nicht gleichsetzen mit der konkreten Regierungspolitik und Regierungsmethode. Auch Kriege sind gesetzmäßig im Imperialismus – und dennoch können und müssen konkrete Kriege verhindert werden. Man darf die Rechnung nicht ohne die Massen und ihren Kampf machen! Sie wollen und werden sich dieser Rechtsentwicklung nicht widerstandslos ergeben.
Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, oder auch aktuell, in denen der Niedergang von rechten und rückschrittlichen Regierungen durch Massenkämpfe eingeleitet – oder sie gestürzt wurden. In Mexiko gab es in den letzten Jahren immer wieder Massenkämpfe gegen den ultrarechten Präsidenten Peña Nieto. Anfang Juli wurde er durch López Obrador abgelöst. Erstmals in der Geschichte des Landes errang ein sich als links bezeichnender Präsidentschaftskandidat den Wahlsieg. „Klarer Linksschwenk im konservativen Mexiko“, kommentierte dies das Magazin Stern.5
Natürlich schüren wir keine Illusionen, dass durch den Kampf gegen eine konkrete Rechtsentwicklung das reaktionäre Wesen des Imperialismus beseitigt würde. Die MLPD steht vielmehr genau dafür, den Kampf gegen die Rechtsentwicklung zu verbinden mit der Verankerung der notwendigen revolutionären gesellschaftlichen Veränderung. Aber gerade, um diesen Kampf führen zu können, verteidigen wir jedes demokratische Recht, jede erkämpfte Freiheit, und wir kämpfen für die Erweiterung demokratischer Rechte und Freiheiten sowie gegen die Faschisierung des Staatsapparats.
Dafür muss die Arbeiterbewegung noch deutlicher an die Spitze des Kampfes gegen die Rechtsentwicklung der Regierung rücken. Die Rechtsentwicklung richtet sich besonders gegen die internationale Koordinierung und Revolutionierung des Klassenkampfs. Diese Rolle der Arbeiterklasse baut sich schon auf in der Rolle der MLPD in diesen Kämpfen, der guten Beteiligung von Arbeiterdelegationen und hervorstechenden Reden ihrer Repräsentanten, wichtigen Massendiskussionen dazu auf Betriebsversammlungen und in den Gewerkschaften. Die Demonstrationen gegen die Polizeigesetze waren auch getragen von Tausenden aus den Fußballklubs, darunter viele bisher nicht politisch aktive Arbeiter.
Die Arbeiterklasse hat hier eine strategische Verantwortung: 1920 haben vor allem Bergarbeiter mit dem Generalstreik und bewaffneten Kämpfen im Ruhrgebiet gegen den Kapp-Putsch verhindert, dass schon damals die Faschisten die Macht übernehmen konnten. Bergarbeiterkämpfe unter der legendären Losung „Der Dicke muss weg“ leiteten 1997 das Ende der ultrareaktionären Kohl-Regierung ein. Es gilt also, alle Seiten unserer Arbeit auszurichten auf den Kampf gegen die Rechtsentwicklung – und auch hier unsere Hauptkampflinie zu verwirklichen.
Als goldrichtig erweist sich jedenfalls, dass schon vor über zwei Jahren begonnen wurde, das Internationalistische Bündnis aufzubauen, inklusive seiner Arbeiterplattform. Hier hatten wir wirklich Vorlauf! Dieses Bündnis weiter zu stärken und als Schule einer künftigen Einheitsfront aufzubauen, entspricht voll den Zeichen der Zeit.
Manche wenden ein, von Neuwahlen würde die AfD profitieren?
Erstens ist es grundsätzlich nicht richtig, eine volksfeindliche Politik zu schonen, nur weil es noch extremere volksfeindliche Positionen gibt. Zweitens ist die verschärft demagogische, faschistoide, rassistische und nationalistische AfD selbst Ziehkind der Rechtsentwicklung und treibt sie voran. Wenn es gelingt, den Kampf für den Rücktritt der Regierung zu entfalten, ist das sicher auch eins der besten Gegenmittel gegen die AfD. Drittens ist es nicht richtig, notwendigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auszuweichen – vielmehr muss man die Konfrontation auf dem Terrain suchen, auf dem man selbst stark ist. Und bei Massenauseinandersetzungen in der politisierten Stimmung der Wahlkämpfe sind wir allemal stark! So hat die MLPD innerhalb weniger Tage über 115.000 Flugblätter verteilt zur Frage des Rücktritts der Regierung und zur Forderung nach Neuwahlen. Die stießen in der polarisierten Diskussion auf viel positive Resonanz.
Die Aufwertung der AfD erfolgt übrigens nicht durch ihre Aktivitäten im Wahlkampf auf der Straße unter den Massen. Finanziell wird sie durch staatliche Zuschüsse gemästet, mit allein 400 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren. Gezielt werden die „Themen“ der AfD in den bürgerlichen Medien nach vorne gebracht. Der Politikberater Johannes Hillje hat minutiös untersucht, wie die „Problembeschreibungen und Deutungsansätze [der AfD] von Medien und anderen Parteien aufgegriffen werden“.6 Er kritisiert zum Beispiel die Tagesschau. Sie übernehme den Deutungsrahmen der AfD, „dass es sich bei den Positionen der Partei um ‚Systemkritik‘ handele“. Sprich: die AfD braucht keinen Wahlkampf – sie profitiert durch mediale, finanzielle und bürgerliche propagandistische Aufwertung.
Straßenwahlkämpfe sind unser Metier! Der bürgerliche Parlamentarismus, wie ihn die Herrschenden zum Betrug an der Bevölkerung organisieren, ist natürlich deren Terrain. Diesen lehnen die Menschen auch immer mehr ab. Aber den Wahlkampf, wie wir ihn machen – als Straßenwahlkampf unter den Massen – nutzen wir als taktische Offensive für den echten Sozialismus – und gegen den modernen Antikommunismus.* Wir würden dies massenhaft für die Auseinandersetzung über die sozialistische Alternative nutzen. Wir haben die Kampagnenfähigkeit. Wir haben top ausgebildete Mitglieder. Wir sind darin trainiert, einen Wahlkampf gegebenenfalls aus dem Stand heraus zu beginnen. Auch so ein Tempovorteil ist nicht zu unterschätzen. In der direkten Auseinandersetzung ist die MLPD den bürgerlichen Parteien, einschließlich der ultrareaktionären Variante AfD, haushoch überlegen. Wir werden solche Neuwahlen also zweifellos nutzen können, um systematisch zu arbeiten an der Durchbrechung unserer – von den Herrschenden betriebenen – relativen Isolierung. Wir werden einen massenhaften Kampf um die Denkweise führen und um die Meinungsführerschaft kämpfen.
Erleben wir doch bis heute, wie der hervorragende Wahlkampf der Internationalistischen Liste / MLPD von 2017 nachwirkt. Er hat unsere Bekanntheit ungemein gesteigert. Manche Leute melden sich jetzt wieder, weil sie sich erinnern, dass wir diese Rechtsentwicklung schon bekämpft haben, noch bevor sie für alle so augenscheinlich wurde. Keine der großen bürgerlichen Parteien will momentan Neuwahlen – weil sie allesamt Angst haben vor der Meinungsäußerung der Massen. Wir nicht! Das sind die Gründe für unsere Forderung nach Neuwahlen – und nicht irgendwelche von der kleinbürgerlich-parlamentarischen Denkweise beeinflussten Überlegungen.
Auch international entfalten sich völlig berechtigt Massenproteste mit der Forderung nach Rücktritt der jeweiligen Regierungen. Sie bilden wichtige Grundlagen für die Stärkung des aktiven Volkswiderstands und der revolutionären Kräfte. So Generalstreiks in Argentinien gegen die Macri-Regierung, Massenproteste in Osteuropa, große Arbeiter- und Volksdemonstrationen gegen die reaktionäre österreichische Regierung und so weiter.
Die „gewohnte“ Weltordnung löst sich immer mehr auf, und die Zeichen stehen auf Kriegsvorbereitung. Ist das nicht brandgefährlich?
Ja, wir befinden uns in der Phase einer neuen Qualität der Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems, die drängt auf eine gewaltsame Neuaufteilung der internationalen Macht- und Einflusssphären. Damit wächst die allgemeine Gefahr eines III. Weltkriegs. Die weltweiten Rüstungsausgaben lagen 2017 mit 1,74 Billionen Dollar auf dem höchsten Stand seit Ende des Kalten Krieges. Immer wenn die Aufrüstung so massiv forciert wird, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich die Herrschenden darauf vorbereiten, ihre Politik mit den Mitteln des Krieges fortzusetzen.
Die zwischenimperialistische Konkurrenz ist zur Hauptseite geworden. Es entstehen immer neue Konstellationen und Bündnisse. Der Handelskrieg der USA richtet sich vor allem gegen China, aber auch gegen die EU als zweitem entscheidenden wirtschaftlichen Konkurrenten der USA. Gleichzeitig sind die USA auch auf Bündnispartner gegen China angewiesen. Deshalb versucht Trump sogar mit Putin „anzubändeln“, um ihn aus dem Schanghai-Bündnis herauszubrechen. Es ist allerdings heuchlerisch, wenn sich die EU als Opfer der USA und Garant von Freiheit, freiem Welthandel und Demokratie aufspielt. Die EU baut selbst gemeinsame militärische Einheiten auf, verschärft ihre Zollpolitik und will Weltmacht Nummer 1 werden.
Die weltwirtschaftliche Entwicklung ist gekennzeichnet von einer schwankenden Stagnation mit starken Ausschlägen nach unten und oben. Die Industrieproduktion in den Ländern der Eurozone erreichte im April 2018 – also zehn Jahre nach Ausbruch der letzten Weltwirtschafts- und Finanzkrise – erst 95,3 Prozent des Vorkrisenstands. Die USA kamen im April 2018 nur auf 101,9 Prozent, und auch Deutschland liegt trotz Exportoffensive gerade mal bei 103,8 Prozent.
Die Ausbreitung und Verschärfung eines offenen, weltweiten Handelskrieges kann in dieser Situation zum Auslöser einer neuen Weltwirtschafts- und Finanzkrise werden. Deshalb, weil ein entfalteter Handelskrieg ganze Konzerne ins Wanken und die ohnehin überdehnten Spekulationsblasen an den Aktienmärkten zum Platzen bringen kann. Das große Problem für die Herrschenden wird dann sein, dass ihr einmaliges, gemeinsames und international koordiniertes Krisenmanagement wie ab 2008 so kaum mehr durchführbar sein wird. Allein schon, weil die dafür notwendigen enormen staatlichen Ressourcen fehlen. Schon heute haben die globalen Staatsschulden ein Rekordniveau erreicht. Sie entsprechen 225 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Die Billionen zur Rettung von Banken und für staatliche Investitionsprogramme, wie zur Abfederung offener Massenentlassungen und Kurzarbeit, stehen nicht mehr so einfach zur Verfügung.
Das Schlimmste für die Imperialisten ist dabei nicht mal der wirtschaftliche Absturz, sondern die Angst, die Gesetzmäßigkeit der Einheit von ökonomischen und politischen Krisen könnte diesmal direkter durchschlagen. Die Widersprüche haben sich so aufgestaut, dass das gewachsene Potenzial einer revolutionären Weltkrise dann zum Tragen kommen kann: in einem weltweiten Aufschwung der Arbeiter- und Volkskämpfe – gegen die offene Abwälzung der Krisenlasten auf ihrem Rücken.
Die Marxisten-Leninisten und die anderen revolutionären Kräfte müssen sich darauf allseitig vorbereiten. Die Bedeutung einer starken ICOR und starker revolutionärer Parteien wächst damit erheblich. Die Erfahrungen der Novemberrevolution vor 100 Jahren zeigen eindringlich: Historische Chancen werden verspielt, wenn man zu spät mit dem Parteiaufbau ernst macht.
Was ist nun die Haupttendenz in der gesellschaftlichen Entwicklung? Im Juni/Juli erreichte ja die Rechtsentwicklung der Regierung einen neuen Höhepunkt – die Proteste dagegen aber auch …
Wir haben eine sich auf beiden Seiten entfaltende Polarisierung. Natürlich wirkt unter einem Teil der Massen und der Arbeiter mit niedrigem Klassenbewusstsein noch die Propaganda, die AfD sei Protestpartei, oder auch die Hetze gegen Flüchtlinge. Das bedeutet immer auch, dass die Klassengegensätze als entscheidender „Kompass“, was richtig oder falsch, rechts oder links ist, verdrängt werden.
Aber gerade in den letzten Wochen tritt immer deutlicher hervor: Der fortschrittliche Stimmungsumschwung unter den Massen in der gesellschaftlichen Polarisierung bildet die hauptsächliche, sich stärkende Seite. Bereits in der ersten Jahreshälfte 2018 gab es mit 625.335 Beteiligten an 463 Volkskämpfen fast so viele wie im ganzen Jahr 2017. Insgesamt haben sich an den politischen Protest- und Kampfaktionen, explizit gegen die Rechtsentwicklung der Regierung, in diesem Jahr schon rund 370.000 Menschen beteiligt, bei mindestens 150 Aktionen. Alleine im Juli demonstrierten 134.000 Menschen bei 88 Aktionen dagegen – und das mitten im Hochsommer, und zur Ferienzeit. An den Aktivitäten der Aktion „Seebrücke statt Seehofer“ gegen die reaktionäre Flüchtlingspolitik nahmen seit Juni bundesweit bei 75 Aktionen 50.000 Menschen teil, ein Großteil davon Jugendliche. Große Proteste richten sich gegen die neuen Polizeigesetze – mit bislang über 100.000 Beteiligten, vor allem in Bayern und Nordrhein-Westfalen. An antifaschistischen Aktionen beteiligten sich im ersten halben Jahr 142.000 Menschen, mehr als im Gesamtjahr 2017 oder 2016.
Dabei muss man sehen, dass die meisten dieser Demonstrationen selbst organisiert waren. Die Demo am 7. Juli 2018 in Düsseldorf wurde breit und überparteilich von zahlreichen Gruppen unter Beteiligung der MLPD und anderen Revolutionären vorbereitet – und von Gliederungen der Grünen, der Linkspartei oder von ver.di und der IG BAU lediglich unterstützt. Sie war aber nicht, wie beispielsweise die großen Demos gegen TTIP 2016, von den großen Gewerkschaften und Verbänden mit Bussen sowie massiver finanzieller und logistischer Unterstützung organisiert. Es formiert sich also eine Massenbewegung gegen die Rechtsentwicklung der Regierung, zunehmend mit Elementen des aktiven Volkswiderstands.
Besonders unter Jugendlichen und jungen Leuten gibt es eine intensive Suche nach Bewusstheit und eine lebhafte Auseinandersetzung um die notwendige Organisiertheit. Bei Erwachsenen bemerkt man, dass sich zunehmend alte Bindungen auflösen und die Bereitschaft zunimmt, neue einzugehen. Die wachsende Breite der Forderungen und auch der subjektiven Motive, warum die Menschen zu diesen Demos gehen, wurde am 22. Juli in München deutlich bei der Demonstration „#ausgehetzt“, mit 50.000 Teilnehmern. Das war die erste Massendemonstration gegen die verschiedensten Seiten der Rechtsentwicklung der Regierung. So gab es verschiedene thematische Treffpunkte und Demozüge: Gruppen, die sich „mit Migration und Asyl befassen und sich gegen Rassismus und Krieg engagieren“; Menschen des Bündnisses „#noPAG – NEIN zum Polizeiaufgabengesetz“; Gruppierungen „aller, die aus sozialen Auseinandersetzungen kommen“ oder „der Menschen, deren Thema die Gleichbehandlung aller Geschlechter und sexueller Identitäten ist“.7 Qualitativ bedeutsam sind Aktivitäten von Flüchtlingen selber, die sich solidarisch organisieren, sich an die Bevölkerung in ihrer Umgebung wenden und für den Zusammenschluss gegen die repressive und kriminalisierende Flüchtlingspolitik der Regierung eintreten.
Naturgemäß muss ein intensiver Klärungsprozess in dieser Bewegung stattfinden. So positionierte sich die Demonstration in München klar gegen Seehofer und die CSU. Manche Beteiligten aber nahmen Kanzlerin Merkel und die ganze Regierung – mit SPD-Beteiligung – tendenziell aus der Schusslinie. Wir müssen diese zukunftsweisende Bewegung fördern, aktiv und gleichberechtigt darin mitarbeiten und natürlich auch eine marxistisch-leninistische Erziehungsarbeit entwickeln über Illusionen wie die in den vermeintlichen „Rechtsstaat“. Von besonderer Bedeutung ist dabei, in den fortschrittlichen Bewegungen weiter mit der kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise fertigzuwerden.
Kontenkündigungen, Attacke des Staatsapparates anlässlich des Rebellischen Musikfestivals, Nutzungsuntersagung des Kultursaals in der Horster Mitte … Was läuft da genau im Vorgehen der Herrschenden gegen die MLPD?
Zunächst mal muss man festhalten, dass alle diese Attacken Reaktionen der Herrschenden auf unsere erfolgreiche Arbeit waren. Nicht umsonst richtet sich die fortschreitende Kriminalisierung der MLPD seit der taktischen Offensive zum Bundestagswahlkampf 2017 gegen Brennpunkte, die die besonders enge Verbindung der MLPD mit den Massen zum Ausdruck bringen. Die Attacke des Staatsapparates anlässlich des Rebellischen Musikfestivals an Pfingsten in Thüringen, die sich vor allem gegen die MLPD und führende Funktionäre wie Stefan Engel sowie ihren Jugendverband richtete, markiert eine neue Qualität der Angriffe gegen die MLPD. Sie erfolgte direkt von Seehofers Bundesinnenministerium.
In dieser Situation haben wir sofort eine „kleine“ taktische Offensive organisiert – und zwar, noch bevor die Gegenseite ihre Propagandakampagne lostreten konnte. In den umliegenden Orten war dies das Gesprächsthema – voller Sympathie für uns. Angesichts dessen berichtete auch die Presse positiv, regional und bundesweit. Am Freitagfrüh – abends sollte das Festival beginnen – war die Polizeiattacke bereits in vollem Gange. Zwei Einsatzhundertschaften umzingelten das Gelände, führten Kontrollen in umliegenden Orten durch. Ein Katastrophenplan war aufgestellt worden, der von zahlreichen Schwerverletzten ausging. Selbst als das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen zugunsten des Festivals kam, waren die Verantwortlichen der Polizei erst mal nicht gewillt, sich zurückzuziehen. Auch dafür war offenbar Rücksprache mit „ganz oben“ notwendig. Und erst am Freitagnachmittag erklärten sie ihre klägliche Kapitulation.
Ein gewaltsamer Polizeieinsatz auf dieser Grundlage hätte für den Staatsapparat im Desaster geendet. Sie mussten ihre Offensive abbrechen – und das ist in der Strategie und Taktik der Kriegsführung der schwächste Moment des Gegners. Zu diesem 100-prozentigen Sieg gegen Seehofers Bundesinnenministerium möchte ich herzlich gratulieren – der ganzen Partei, unserem Jugendverband und allen Unterstützern und Mitkämpfern, Bündnispartnern und Künstlern!
Das Ergebnis des Kampfes gegen diese Polizeiattacken steht im scharfen Kontrast zur Situation nach den G20-Protesten in Hamburg. Dort gelang es den Herrschenden, eine reaktionäre Hetze im ganzen Land zu verbreiten von angeblich gewalttätigen „linksextremen“ Demonstranten. Ausgehend davon setzte eine Welle der Kriminalisierung ein, mit öffentlicher Hetzjagd im Internet, internationalen Festnahmen usw. Gegen die Angriffe auf das Rebellische Musikfestival war sehr wichtig, strikt die Massenlinie zu verfolgen auf der Grundlage des Vertrauens in die Massen. Auch gegen die verbreitete falsche Auffassung, in Thüringen seien die Leute überdurchschnittlich rechts. Dass hier offensiv und wohlüberlegt gearbeitet, auf die Massen und die Partei vertraut und systematisch die Meinungsführerschaft erobert wurde – das sind wichtige Lehren für künftige ähnliche Auseinandersetzungen.
Kurz nach dieser Niederlage kam, mit fadenscheinigen Begründungen, die politisch motivierte Nutzungsuntersagung gegen den Kultursaal der Horster Mitte in Gelsenkirchen. Das zielt auf das Herz der Partei mit ihrer Parteizentrale. Das zeigt nur, dass die Herrschenden nicht gewillt sind, von der Diffamierung, Kriminalisierung und Entrechtung der MLPD abzulassen. Auch hier sind wir sofort in die Offensive gegangen. Sehr viele Menschen im Stadtteil und in ganz Gelsenkirchen betrachten das inzwischen als Angriff auf sich, auf ihren Kultursaal und ihre Interessen.
Wie passt die neue Qualität der Angriffe auf die MLPD zu der angeblichen Bedeutungslosigkeit, die ihr in den letzten Jahrzehnten immer wieder durch staatliche und andere bürgerliche Institutionen attestiert wurde?
Für immer mehr Menschen ändert sich in der letzten Zeit ihre Wahrnehmung der MLPD; sie haben Respekt vor unserem Rückgrat, und unser Offensivgeist macht ihnen Mut. Dieser gewachsene Respekt baut auch auf den Erfahrungen auf, die die Leute in den letzten Jahrzehnten mit uns gemacht haben: die bedeutende Rolle der MLPD in der Führung von Arbeiterkämpfen, der selbstlose Einsatz mit der ICOR zum Aufbau des Gesundheitszentrums in Kobanê/Nordsyrien, ihre zukunftsweisende Jugendarbeit, ihr konsequenter umweltpolitischer Standpunkt, dass sie in der Flüchtlingsfrage nicht einknickt, die Solidarität und der Zusammenhalt. Auch wenn die MLPD zweifellos noch eine kleine Kraft und noch viel zu tun ist, damit die Massen mit dem modernen Antikommunismus fertigwerden.
Ein wesentliches Element des sich entwickelnden Stimmungsumschwungs ist auch, dass viele die MLPD zunehmend vorbehaltloser betrachten. Es gibt deutlich weniger Berührungsängste. Das merken wir bei verschiedenen Demonstrationen, wo uns viele, gerade junge Leute erstmals persönlich treffen und merken: Das verzerrte, antikommunistische Bild, das ausgehend vom Verfassungsschutz bis in die kleinbürgerlich-linke Bewegung hineinwirkt, haut nicht hin.
Kriminalisierung und Drohungen gegen Stefan Engel ähnlich denen, wie gegen einen terroristischen „Gefährder“; Kündigungen von Konten wegen des Verdachts auf „Terrorfinanzierung“; angebliche Gefährdung von „Leib und Leben“ im Kultursaal Horster Mitte: Das sind schon schwere Geschütze in der Manipulierung der öffentlichen Meinung. Es ist durchaus eine hohe Anforderung, einen Kampf zu seiner Sache zu machen, den die Herrschenden als Unterstützung des Terrorismus diffamieren. Angesichts dessen ist beeindruckend, wie breit, souverän und fundiert die Solidarität mit der MLPD gegen die Angriffe und Kriminalisierung ist.
Der moderne Antikommunismus funktioniert eben auch nur, wenn man Vertrauen in den herrschenden Kapitalismus und Bindung zu ihm hat. Der muss ja angeblich gegen den Terrorismus verteidigt werden. Dieses „Problem“ ist auch den Herrschenden nicht verborgen geblieben. Bisher beispielsweise verbreiteten die Verfassungsschutzberichte gezielt das irreale Bild von der MLPD als einer völlig unbedeutenden, notorisch erfolglosen Partei. Der im Juli erschienene Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalens hingegen muss nun (im gleichen Tenor wie einige aus anderen Bundesländern) „einen erheblichen Wählerzuwachs“ im Bundestagswahlkampf 2017 konstatieren, und er stellt „intensive Plakatierungsmaßnahmen und eine hohe Mobilisierung“ sowie „eine außergewöhnlich hohe Spendenbereitschaft“ fest. Nicht zufällig werden auch die erfolgreiche Gründung und der Aufbau des Internationalistischen Bündnisses aufmerksam verfolgt.
Natürlich macht der Verfassungsschutz so etwas nicht aus Anerkennung. Die Registrierung unserer Erfolge ist aus Sicht der Geheimdienste als Mahnung an die verschiedensten staatlichen Stellen gemeint, keinesfalls das revolutionäre Potenzial der MLPD zu unterschätzen.
Wir lassen uns durch solche Attacken keinesfalls einschüchtern. Aber natürlich sollen Attacken auf demokratische Rechte und Freiheiten, Konten oder Häuser uns auch schaden, beeinträchtigen und in den Augen der Massen herabsetzen und kriminalisieren. Deshalb sollten wir solche Attacken auch nicht unterschätzen. Die Herrschenden sind offenbar noch uneins, wie gegenwärtig gegen die MLPD vorgegangen werden soll: Soll sie weiter als „nicht relevant“ behandelt und damit möglichst in der relativen Isolierung gehalten werden? Oder soll man sie offen angreifen, kriminalisieren und unterdrücken – um den Preis einer von uns wohl genutzten Massendebatte um die Marxisten-Leninisten?
Gegenwärtig haben wir noch keinen allgemeinen Taktikwechsel gegenüber der MLPD, er wird aber offenbar vorbereitet. So hat sich die Staatsanwaltschaft Gera strikt geweigert, strafrechtliche Ermittlungen überhaupt aufzunehmen wegen der Kriminalisierung und Diskriminierung der MLPD und ihres führenden Repräsentanten Stefan Engel. Angeblich sei das Verhalten der Polizei gerechtfertigt, weil die auf Grundlage von Informationen des Verfassungsschutzes gearbeitet hätte. Zudem gebe es für die Polizei und den „Gefährder“-Brief gegen Stefan Engel einen „Ermessensspielraum“, weil die MLPD ja in der Öffentlichkeit für den „revolutionären Umsturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ stehe. Damit sollen im Stil der repressiven Gesinnungsjustiz weitgehende Möglichkeiten geschaffen und legitimiert werden, willkürlich gegen die MLPD vorzugehen.
Die offenen staatlichen Angriffe gegen die MLPD sind die eine Seite. Die andere ist, dass der Staatsapparat verstärkt versucht, seine reaktionäre Zersetzungsarbeit gegen die MLPD auch innerhalb der fortschrittlichen Bewegung auszuweiten. So investiert der Staat, namentlich zum Beispiel das Familienministerium, einiges in die spalterischen „antideutschen“ Stiftungen und Organisationen. Diese wiederum richten immer stärker ihren Hauptstoß gegen die MLPD. Sie arbeiten eng mit staatlichen Stellen und bürgerlichen Parteien zusammen. So erhielt die Amadeu Antonio Stiftung im Jahr 2014 870.000 Euro aus staatlichen Zuschüssen. Sie gibt wiederum die Internet-Zeitschrift Belltower heraus, die aktuell der Stichwortgeber ist für die Forderung, die MLPD aus antifaschistischen Bündnissen auszuschließen. Die Zeitung war 2017 extra umbenannt worden, denn man habe jetzt nicht mehr nur den „Rechtsextremismus im Blick“. Es ist kein Zufall, dass in der Amadeu Antonio Stiftung der Verfassungsschutzpräsident Thüringens, Stephan Kramer, im Stiftungsrat sitzt.
Prompt haben einige wenige Liquidatoren in Thüringen mit dem Ausschluss der MLPD die Spaltung des dortigen „antifaschistischen Ratschlags“ betrieben. Ein absolut schädlicher Akt angesichts dessen, dass gerade in Thüringen, als einem Konzentrationspunkt der Faschisten, eine starke überparteiliche antifaschistische Bewegung nötig ist. Und genau diese antideutschen Kräfte proklamierten noch 2016 die Kapitulation vor den neofaschistischen Konzerten in Themar. Auch diese „Front“ müssen wir also künftig beachten. Nicht, weil die „Antideutschen“ besonders stark oder einflussreich wären, aber weil uns das zeigt, mit welchen verdeckten, nur scheinbar aus der Bewegung kommenden Mitteln und Methoden der Staatsapparat arbeitet.
Kurz nach dem Abbruch des Polizeieinsatzes an Pfingsten habt ihr die Losung des „Nachsetzens“ herausgegeben. Wie weit ist die MLPD dabei – gerade in Thüringen – gekommen?
Das Vorgehen rund um das Rebellische Musikfestival bestätigt unsere Einschätzung von Thüringen als schwächstem Kettenglied der Herrschenden. Aus deren Sicht ist es natürlich höchst problematisch, dass wir nun ausgerechnet dort am 1. Mai erfolgreich eine taktische Offensive starteten, mit Partnerschaften aller MLPD-Landesverbände mit den Regionen Thüringens. Wir traten in 16 Orten auf am 1. Mai, organisierten zehn örtliche Film- und Diskussionsveranstaltungen zum 200. Geburtstag von Karl Marx und gewannen viele neue Kontakte. Das ist auch eine Vorbereitung darauf, mit der Internationalistischen Liste / MLPD flächendeckend an der Landtagswahl 2019 in Thüringen teilzunehmen.
Zweifellos war die Attacke im Zusammenhang mit dem Rebellischen Musikfestival auch eine Antwort darauf. Nach unserem taktischen Sieg musste nachgesetzt werden, um den schwächsten Moment des Gegners, den Abbruch seiner versuchten Offensive gegen uns, voll auszunutzen und ihm weitere Schläge zu versetzen. Das wurde in der Partei zunächst noch nicht überall verstanden und in manchen Regionen eher zögerlich angegangen. Dabei erwies sich diese Taktik als 100-prozentig richtig: Gerade Jugendliche finden es sehr gut, wenn man der nach rechts gerückten Regierung mit ihrer Polizei Paroli bietet – und dagegen sogar Siege erringt. Siege gegen Leute wie Dirk Löther stoßen natürlich auf ausgesprochenes Vergnügen. Und auf Interesse und Neugier an einer vertiefenden Diskussion. Er, ehemaliger Leiter der Landespolizeiinspektion Saalfeld und einer der Verantwortlichen für die Nicht-Aufklärung des NSU-Skandals, ist nun gescheiterter Einsatzleiter gegen das Rebellische Musikfestival und die MLPD.
Wie geht es denn nun weiter in Thüringen?
Natürlich ist die Arbeit in Thüringen eine besondere Schule, in der gesellschaftlichen Polarisierung richtig zu arbeiten. Hier ist sowohl der fortschrittliche Stimmungsumschwung besonders ausgeprägt, als auch die infame Demagogie der AfD und weiterer faschistoider oder sogar offen faschistischer Kräfte. Wir müssen lernen, die Arbeit in dieser Situation richtig zu führen: das große Potenzial für die Organisierung vor allem Jugendlicher und junger Leute heben, indem wir in der Polarisierung klare Kante zeigen. Zu offen reaktionären Kräften, Regierung und Monopolen die Polarisierung verschärfen. Innerhalb der Arbeiter- und Volksbewegung die Einheit stärken und helfen, mit den verschiedenen Varianten der kleinbürgerlichen Denkweise fertigzuwerden. Die Untauglichkeit der Linkspartei mit ihrer Illusion der „Zähmung“ des Kapitalismus deutlich machen, sie aber auch nicht als Hauptgegner behandeln – und mit engagierten Mitgliedern die Aktionseinheit gegen die Rechtsentwicklung stärken.
All das ist nur mit der bewussten Anwendung der dialektischen Methode zielsicher zu verwirklichen. Die taktische Offensive in Thüringen wird von der gesamten Partei als Schule des Parteiaufbaus verstanden und verwirklicht werden. Es ist von bundesweiter Bedeutung, den Herrschenden an ihrem schwächsten Kettenglied weitere Niederlagen beizubringen und die revolutionären Kräfte deutlich zu stärken. Das muss sich besonders darin ausdrücken, die marxistisch-leninistische Jugendarbeit als Massentaktik des Parteiaufbaus und den Aufbau starker REBELL-Gruppen zu forcieren. Dafür wiederum muss zunächst einmal die Partei ihre Strukturen ausrichten und mit Parteimitgliedern im Jugendverband die bestehenden REBELL-Gruppen in der Rebellion der Jugend festigen.
Die Jugend scheint sich in dieser gesellschaftlichen Polarisierung eindeutig links zu positionieren. Kommt das in der Stärkung des REBELL und der MLPD schon zum Ausdruck?
Seit Anfang des Jahres haben wir in dieser Frage eine deutliche Belebung der kritisch-selbstkritischen Auseinandersetzung, eine Zunahme jugendpolitischer Aktivitäten und eine Sensibilisierung der Partei, mehr Kräfte in die Jugendarbeit zu investieren – und auch deutlich mehr Interesse und Aufnahmeanträge von Jugendlichen. Die Offensive gegen die Kriminalisierung von MLPD, REBELL und des Festivals hat alle Beteiligten eng zusammengeschweißt. Das Hauptfeld unserer marxistisch-leninistischen Jugendarbeit ist die Organisierung der Rebellion der Jugend, derzeit vor allem gegen die Rechtsentwicklung der Regierung. Losgelöst davon gibt es auch keine erfolgreiche marxistisch-leninistische Jugendarbeit als Massentaktik des Parteiaufbaus.
Die Rebellion der Jugend belebt sich. Bei den großen Demonstrationen gegen die Polizeigesetze waren Jugendliche oder junge Erwachsene in der Mehrheit. Am 22. Juni gab es einen Schulboykott „Sie schieben ab – wir streiken!“, mit Aktionen unter anderem in Dresden, Leipzig, Würzburg, München, Kassel, Nürnberg, Berlin, Düsseldorf und Münster, an denen häufig Hunderte Jugendliche teilnahmen. Die erforderlichen und auch möglichen Massengruppen des REBELL können keinesfalls losgelöst davon aufgebaut werden. Immer häufiger entstehen Situationen, in denen solche großen Gruppen gewonnen werden können. Die entscheidende Frage ist dann ihre Festigung.
Die wissenschaftliche Methode der Organisations- und Kaderarbeit neuen Typs bedeutet dann, bezogen auf die konkreten Menschen in der konkreten Gruppe, bezogen auf konkrete Kampfaufgaben, die richtigen Organisationsformen und die „passgenaue“ Kaderarbeit zu verwirklichen. Sie vollzieht sich in der Dialektik der Entwicklung zum organisierten Rebellen und zum Marxisten-Leninisten. Die drei grundlegenden Wechselbeziehungen zwischen MLPD und REBELL, der ideologisch-politischen Führung durch die Partei, der praktischen Zusammenarbeit und der Förderung der organisatorischen Selbstständigkeit des REBELL, können aber nur erfolgreich sein unter Beteiligung sämtlicher Parteimitglieder.
In diesem Zusammenhang tauchte – gerade von Genossen in der Jugendarbeit – immer wieder auf, jetzt müsste man vor allem das System der Jugendarbeit entwickeln. Das greift aber viel zu kurz. In die Praxis umgesetzt, würde das gerade bedeuten, das gesonderte Ressort Jugendarbeit noch zu „perfektionieren“. Umgekehrt muss es darum gehen, an der ganzen Bandbreite des Systems der Kleinarbeit Jugendarbeit zu machen – und diese als Massentaktik des Parteiaufbaus zu verstehen. An der Hauptkampflinie die Arbeit in und an den Lehrwerkstätten, Berufsschulen, der gewerkschaftlichen Jugendarbeit; in den Wohngebieten den ROTFUCHS-Aufbau und die Elternarbeit; in der Umweltarbeit und im aktiven Volkswiderstand die Rebellion der Jugend ins Zentrum zu stellen usw. usf.
Darauf bezieht sich auch das Ziel, dass jeder Genosse zu einer aktiven Jugendarbeit angehalten ist. Dazu kommt die Richtzahl von 30 Prozent der Kräfte, die sich voll auf die Jugendarbeit konzentrieren. Das ist natürlich eine weitreichende Selbstveränderung der gesamten Arbeit, und wir haben die Aufgabe gestellt, dass jede Gruppe dazu einen „Schlachtplan“ entwickeln muss.
Auch auf ideologischem Gebiet gibt es in der Gesellschaft ziemliche „Schlachten“. Wie stellt sich die MLPD dafür auf?
Das Wesen des fortschrittlichen Stimmungsumschwungs ist die Suche der Massen nach einer gesellschaftlichen Alternative. Das ist unter den Massen wesentlich auch ein Prozess der weltanschaulichen Neuorientierung. Dem müssen wir durch unsere theoretische Arbeit gerecht werden und Antworten liefern auf die Fragen der Massen. Aber auch unsere Mitglieder und Funktionäre immer besser befähigen, die komplizierten weltanschaulichen Auseinandersetzungen überzeugend zu führen. Das heißt, wir dürfen uns in so einer Situation nicht beschränken auf politische Argumente, Aktivitäten und anderes. Damit würden wir dem Bedarf nach weltanschaulicher Klärung nicht gerecht werden.
Die heute vorherrschenden Formen der bürgerlichen Ideologie und das System der kleinbürgerlichen Denkweise verwischen systematisch proletarische und bürgerliche Ideologie, Materialismus und Idealismus, gerade auch in der Naturwissenschaft. Damit manipulieren die Herrschenden allseitig das Denken, Fühlen und Handeln der Massen. Dem Positivismus, Pragmatismus, Postmodernismus und so weiter wird ein fortschrittlicher Nimbus verliehen und sie werden als etwas ausgegeben, was eine Art dritte Ideologie sei, jenseits von proletarischer und bürgerlicher Ideologie. Das alles sind aber Formen der bürgerlichen Ideologie. In einer Klassengesellschaft tragen alle Ideen und Weltanschauungen den Stempel einer Klasse. Die Versuche, das zu verwischen, sind grundsätzlich nicht neu. Bereits Lenin nahm sie in seinem Werk „Materialismus und Empiriokritizismus“ systematisch auseinander.
Wir haben im Zentralkomitee diskutiert, dass wir zunächst eine Ausrichtungsbewegung machen müssen für die Ausarbeitung der Ausgaben 36/37 des theoretischen Organs REVOLUTIONÄRER WEG: „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise“. Dabei studieren wir unter anderem die Grundlagen im Marxismus-Leninismus und unserer ideologisch-politischen Linie in Bezug auf diese Fragen und legen sie der ganzen Arbeit zugrunde. Sonst bestünde die Gefahr, selbst von diesem weltanschaulichen Chaos beeinflusst zu werden.
Die Organisations- und Kaderarbeit neuen Typs als wissenschaftliche Methode anzuwenden, hat sich als richtige Leitlinie bestätigt: Sie vermittelt zwischen theoretischer und praktischer Arbeit und leistet zudem die Kaderarbeit, dass immer mehr Genossen befähigt werden, die ideologisch-politische Linie weiterzuentwickeln. Auch dazu, dass die ganze Partei befähigt wird, die ideologisch-politische Linie kritisch-selbstkritisch anzueignen und schöpferisch in die Praxis umzusetzen. Das Wichtigste in dieser Situation ist also für die ganze Partei, die ideologisch-politische Arbeit noch viel intensiver zu betreiben. Dazu brauchen wir mehr öffentliche Studiengruppen, prinzipielle Auswertung der Erfahrungen, grundsätzliche Diskussion, intensiveres Selbststudium, mehr Dialektikkurse – auch in den Landesverbänden – und eine stärkere Konzentration des Zentralkomitees auf die Ausarbeitung der Ausgaben 36/37 des Organs REVOLUTIONÄRER WEG.
Du hast davor gewarnt, die vor sich gehenden Veränderungen und damit verbundenen Herausforderungen zu unterschätzen. Und gleichzeitig hast du mehr Ruhe und Gründlichkeit in der Arbeit propagiert. Ist das nicht die Quadratur des Kreises?
Es ist gar nicht so einfach, in diesen Situationen richtig zu arbeiten: schnell, aber ohne zum Spielball der ständigen Verwerfungen und manipulativen Manöver der Herrschenden zu werden. Allseitig –und zugleich die richtigen Kettenglieder ergreifend. Offensiv – aber nicht ohne auch die nötigen defensiven Maßnahmen zu ergreifen. Ambitioniert – aber auch die Ruhe bewahrend, abgeklärt und durchdacht die Dinge in die Tiefe, die Perspektive, bis hin zum planmäßigen Handeln durchdenkend. Die ideologisch-politische Seite als führenden Faktor gewichten, sie damit verbinden, dass neue Leute ausgebildet, gefestigt und die richtigen Organisationsformen geschaffen werden.
Um diese bewusste dialektische Herangehensweise an die Arbeit hatten wir in der Bewährungsprobe der letzten Monate wichtige kritische und selbstkritische Diskussionen in unserer Leitungstätigkeit. Man kann sagen: Das Zentralkomitee, die ganze Partei und der Jugendverband haben hier eine Feuertaufe bestanden! Wir haben viel gelernt, aber auch Grenzen kennengelernt, die wir noch überwinden müssen. Solche Kulminationen bringen besonders die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen, der Kollektive usw. zum Ausdruck; und es lohnt sich, das genau auszuwerten und Schlüsse zu ziehen. Dazu wird das Zentralkomitee in den nächsten Wochen auch Besuche in der Partei und im Jugendverband durchführen und diese Fragen diskutieren.
Es kommt darauf an, die Kräfte aufs Wesentliche zu konzentrieren. Vereinzelt wurden in unseren Landesverbänden wichtige neue Entwicklungen nicht erkannt. Unter der Prämisse des „Kampfes gegen den Aktionismus“ wurde dann die Arbeit nicht schlagkräftig und flexibel darauf ausgerichtet. Im Kampf gegen die Anbetung der Spontaneität ist wiederum entscheidend, wie wir diese Aufgaben zur Stärkung der Partei nutzen. So berichten Genossen aus Berlin-Mitte, sie hätten das Flugblatt direkt nach dem Rebellischen Musikfestival unzureichend verteilt, aber zugleich unter großer Anspannung der Kräfte. Sie haben das ausgewertet und beim Flugblatt zum Rücktritt der Regierung ganz gezielt ihre Kräfte gebündelt und Freunde und Kontakte einbezogen. So gelang es, das Flugblatt zigtausendfach in Berlin zu verteilen – zur Hälfte durch bisher Parteilose.
Kritisch diskutierte ich auch mit Stuttgarter Genossen, warum eigentlich die Arbeit bei einer – vor allem von Jugendlichen besuchten – Demonstration nicht vor allem genutzt wird, jeden anzusprechen, ob er oder sie Mitglied im REBELL werden möchte, und diesen aktiv zu verankern. So stärkt man die Kräfte im Kampf, wächst zusammen, lernt voneinander – neue Leute werden zu aktiven Trägern der Arbeit –, statt uns eher darin aufzureiben, weil immer der gleiche „harte Kern“ von Leuten die Arbeit macht. Das stärkt dann auch das Anliegen der jeweiligen Proteste, weil die Organisiertheit und Bewusstheit wachsen.
Die Situation erfordert vor allem noch viele weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter in unseren Reihen – im Kampf für den echten Sozialismus. Nur dann werden wir im Gewoge der sich rasant verändernden Weltlage, der entstehenden Kämpfe und der gewachsenen Anforderungen an die Marxisten-Leninisten die neuen Herausforderungen annehmen, die Kräfte stärken und unsere wichtigen Aufgaben auch gut meistern können!
Vielen Dank für das Interview!
* Die ersten vier Sätze dieses Abschnitts wurden nach der Erstveröffentlichung nochmals erweitert